Infrastrukturvorhaben schneller und planvoller umsetzen.
Am 30. November luden die DialogGesellschaft und deren Fachverbände des Expertenrates in die Zentrale des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) zur branchenübergreifenden Fachtagung in Berlin ein. Gemeinsam diskutierten 50 Vorhabenträger und Fachvertreter aus Verbänden und des Bundes mit politischen Akteuren Verbesserungsvorschläge und notwendige Rahmenbedingungen zur Planungsbeschleunigung.
Dr. Paula Hahn, Abteilungsleiterin Recht, beim BDEW begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Haus des BDEW und betonte in ihrer Ansprache die wachsende Notwendigkeit von Dialogpraxis und Beteiligungsverfahren als kommunikativen, aber auch politisch und juristisch notwenigen Akt unserer Zeit.
Kerstin Rippel, Leiterin Unternehmenskommunikation beim Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, ergänzte die Ausführungen von Frau Dr. Hahn um den Aspekt der Kommunikation. Öffentliche Beteiligung sollte ein integraler Bestandteil der Planungen sein, so dass die Hinweise frühzeitig und umfassend in das Genehmigungsverfahren einbezogen werden können. Sie berichtete vom Moment als 50Hertz erkannte, dass ohne Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger große Leitungsbauprojekte nicht oder nur sehr schwer realisierbar würden und verwies auf die größtenteils guten Erfahrungen, die seitdem gemacht wurden. Sie gab jedoch zu bedenken, dass neben einem Bekenntnis zur Praxis der Bürgerbeteiligung, auch der nachhaltige politische Rückhalt sowie gut durchdachte, zielgruppengerechte Kommunikationsformate entscheidend für beschleunigte Planungsprozesse seien. In der Praxis scheitern Vorhaben noch allzu oft am fehlenden Dafürstehen der politisch und administrativ Verantwortlichen, aber auch an den wenig überzeugten Haltungen und Umsetzungsmaßnahmen der Vorhabenträger bei Dialog und Beteiligung.
Dr. Paula Hahn, Kerstin Rippel und Dr. Joachim Schwab
(Foto: Celin Sommer)
Dr. Joachim Schwab, Abteilungsleiter Umwelt- und Arbeitsschutz der Bezirksregierung Köln, konstatierte in seiner Keynote, dass alle – Vorhabenträger, Genehmigungsbehörden, Politik und Öffentlichkeit – der Wunsch gelichermaßen eint, Planungen zu beschleunigen, doch dies noch erhebliche Anstrengungen auf allen Seiten erfordert. Hierbei mangelt es nicht an technischem Know-How, sondern vielmehr an entsprechenden Rahmenbedingungen. Behörden müssen die verantwortungsbewusste Führung bei der Umsetzung von Projekten übernehmen, nicht nur die Planungsergebnisse sichten. Dies erfordere auch einen Perspektivwechsel, um die Sicht des Vorhabenträgers nachzuvollziehen und ein entsprechendes Rollenverständnis. Gleichzeitig müssen fachliche und rechtliche Kompetenzen sowie ausreichend Ressourcen bei den Behörden vorhanden sein. Zudem sollten wichtige Projekte bei der Prüfung priorisiert und somit zügiger umgesetzt werden. Schwab plädierte dafür, Öffentlichkeitsbeteiligung als integralen Bestandteil von Genehmigungsverfahren zu etablieren. Kommunikation hat die Aufgabe, Projekte zu erklären und bietet die Möglichkeit so die Gesellschaft für Vorhaben zu gewinnen. Gleichzeitig appellierte er an die Verantwortlichen in Politik, in den Behörden und beim Vorhabenträger. Sein Fazit lautet, dass Planungsbeschleunigung nur im Schulterschluss und durch den gut koordinierten Austausch zwischen diesen Beteiligten möglich ist.
Die Frage, wie der Rahmen für Beteiligung gestaltet sein muss, um Planungssicherheit zu schaffen, wurde danach umfassend in sechs Themenworkshops zu je zwei kommunikativen, administrativen und rechtlichen Fragestellungen wie folgt erörtert:
- Digitalisierung – Welchen Beitrag kann digitale Kommunikation im Kontext von Beteiligung und Planungsbeschleunigung leisten?
Themenbotschafter: Stephan Meyer, DSK Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft
Vor dem Hintergrund von Social-Media und der Entwicklung digitaler Informationsformate, ist es für Vorhabenträger wichtig, den Diskurs steuern zu können und nicht die Kontrolle im Kommunikationsprozess zu verlieren. Digitale Kommunikation kann einen wesentlichen Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung leisten und mit zielgruppenorientierten Formaten passgenau informieren, visualisieren und so „Zugänglichkeit“ schaffen, sofern die Kommunikation frühzeitig beginnt, ehrlich und transparent ist und die klassischen Kommunikationsformate im Methodenmix ergänzt. Hierbei lässt sich Beteiligungserfolg nicht in Zahlen, Daten oder Tagen messen. Je später Beteiligung jedoch ansetzt, je intransparenter und stockender die Kommunikation wahrgenommen wird oder bestimmte Gruppen nicht berücksichtigt oder an den Rand gedrängt werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Umsetzungszeitplan bzw. das Planungsvorhaben an sich in Frage gestellt werden.
- Administration – Wie lassen sich verwaltungsintern Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigen?
Themenbotschafter: Jörn von der Lieth, Hilfswerk-Siedlung
Die Verwaltung muss stärker in die Verantwortung gehen, um die Prozesse zu koordinieren und zu moderieren. Sie braucht die entsprechende Ausstattung, um dies leisten zu können. Dem Eindruck, es fehle bisweilen auf Seiten der Verwaltung der Wille zur Umsetzung und stringenten Durchführung der Projekte, muss aktiv entgegengewirkt werden. Die Bereitschaft zur Umsetzung könnte in Projektleitern personifiziert werden, die die Projekte übergreifend koordinieren und den kontinuierlichen Austausch zwischen Vorhabenträgern und weiteren Beteiligten herbeiführen und leiten. Darüber hinaus wurde empfohlen, Verwaltungsspielräume zu erweitern. Der Mut zum Risiko wird durch Einengung von Spielräumen und überbordende Dokumentationspflichten konterkariert, weil Rechtssicherheit als oberstes Gebot behandelt wird.
- Beteiligung und Präklusion – Ist Präklusion die einzige Lösung? Wie können Beteiligungsverfahren zur rechten Zeit und im richtigen Format Einwänden vorbeugen?
Themenbotschafter: Thorsten Fritsch, BDEW
Die wesentliche Funktion eines Genehmigungsverfahrens ist das Herbeiführen einer rechtmäßigen Entscheidung über den Genehmigungsantrag. Gerade in Großverfahren geht die Frage der Akzeptanz aber weit über diesen Rahmen hinaus. Daher können in dem Prozess zur Entwicklung und Verwirklichung eines Projekts drei Ebenen unterschieden werden, die miteinander verschränkt werden müssen.
Ebene eins: Der Planungs- und Entwicklungsprozess, in dem der Vorhabenträger seine Vorstellung von der Ausgestaltung und technischen Umsetzung des Vorhabens entwickelt und zunehmend konkretisiert.
Ebene zwei: Das Genehmigungsverfahren, in dem das Vorhaben anhand rechtlicher Vorgaben auf seine Genehmigungsfähigkeit geprüft und auch teilweise weiterentwickelt wird.
Kommunikation und Beteiligung ist die dritte Ebene und beginnt idealerweise frühzeitig im Rahmen des Planungs- und Entwicklungsprozesses, um bereits vor einer weitgehenden Konkretisierung des Projekts Anregungen aufzunehmen und möglicherweise in der Planung aufgreifen zu können. Die Kommunikations- und Beteiligungsprozesse haben hierbei die Aufgabe, die Planungen und rechtliche Abwägungen unter Berücksichtigung vielfältiger unterschiedlicher Perspektiven und Betroffenheiten miteinander zu verweben, damit sich im Ergebnis eine breite Akzeptanz für das Vorhaben entwickeln kann.
Motivation für eine kommunikative Begleitung und Beteiligung im Rahmen des gesamten Prozesses muss die strategische Klugheit und Weitsicht des Vorhabenträgers sein. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu ist hingegen weder sinnvoll noch zielführend. Eine Verpflichtung droht vielmehr, die Bemühungen des Vorhabenträgers zu entwerten. Zu prüfen wäre aber, ob ein Mehr an Beteiligung im Rahmen des Verfahrens unter Umständen zu einem Mehr an Rechtssicherheit im Hinblick auf mögliche Klageverfahren führen kann. Hier wäre etwa eine geringere Prüfungstiefe der Genehmigungsentscheidung durch die Gerichte denkbar.
- Nutzendarstellung – Best-Practice – Wie können Vorhaben und Nutzen zielgruppenorientiert vermittelt werden – geeignete Formate, Zeitfenster und Veröffentlichungsmedien für Information und Beteiligung?
Themenbotschafter: Michael Zarth, DEGES Fernstraßenplanung- und bau
Auch in Bezug auf die Nutzendarstellung ist ein Um- und Sich-Hineindenken notwendig. Der Nutzen ist für die Betroffenen – insbesondere lokal – nicht immer eindeutig erkennbar oder der durchaus vorhandene Mehrwert wird nicht adressatengerecht kommuniziert. Für die Nutzenkommunikation ist nicht die Logik der Planer und Behörden wesentlich, sondern der langfristige Vorteil für die Betroffenen. Dieser muss oftmals zunächst identifiziert und dann kontinuierlich über den gesamten Prozess der Projektdurchführung kommuniziert werden. Dabei sind diverse Formate und Maßnahmen auf unterschiedlichsten Ebenen in Erwägung zu ziehen: Gespräche mit Anwohnern, politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Stakeholdern.
Nachdenkenswert sind darüber hinaus Maßnahmen zur Teilhabe, die einen kompensatorischen Nutzen schaffen. Beispielsweise bei einem Kraftwerksbau, bei dem zugleich die Versorgung der Nachbarschaft mit schnellerem Internet ermöglicht wird. Ein gutes Beispiel ist auch die planvolle Renaturierung eines Ausgleichgebietes, wenn im Vorhabenraum Natur beschädigt werden musste. Die Politik könnte hier den Spielraum für Kompensation und Nutzengenerierung für öffentliche Vorhabenträger erweitern. Durch einen (mitunter nur geringen) finanziellen Mehraufwand könnten Genehmigungsverfahren so beschleunigt und sogar Klagen verhindert werden.
Nicht zuletzt könnte ein frühzeitiger, allgemeinverständlicher Nutzenbericht, der die zu gewinnenden Mehrwerte auf der lokalen, regionalen und ggf. deutschlandweiten Ebene beschreibt, die Akzeptanz eines Vorhabens nachdrücklich befördern.
- Verantwortung und politisches Dafürstehen – Die Politik auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene trägt Verantwortung für das Gelingen von relevanten Infrastrukturvorhaben. Welche Grundsatzentscheidungen gilt es, durch die Politik zu erarbeiten, um Vorhabenträger zu entlasten und Infrastrukturvorhaben schneller umzusetzen?
Themenbotschafter: Ingo Malter, STADT UND LAND Wohnbauten mbH
Verantwortung und politisches Dafürstehen für Projekte sind die wahren Eckpfeiler des Erfolgs bei der zügigen Umsetzung des Infrastrukturausbaus. Dies bedeutet, dass die Verantwortung seitens der Politik für ein als notwendig erachtetes Infrastrukturprojekt nicht an den Vorhabenträger weiterzureichen ist, der für das „Ob“ eines Vorhabens keine Zuständigkeit hat. Wie jedoch ein Projekt umgesetzt wird, kann durch den Vorhabenträger mit der Öffentlichkeit entlang klar definierter Bezugspunkte diskutiert werden. Gleichzeitig fordern Vorhabenträger auch von Betroffenen ein gewisses Maß an Verantwortungsbewusstsein. Bürgerinnen und Bürger und Träger öffentlicher Belange stehen in der Verantwortung, sich zu informieren und zu reflektieren. Diese Verantwortlichkeit darf und sollte die Politik von der demokratischen Gesellschaft einfordern, denn alle Beteiligten genießen sowohl Rechte als auch Pflichten. Mögliche Diskussionsinhalte sowie die „Spielregeln“ und Rahmenbedingungen der Beteiligung müssen transparent, klar definiert und egalitär sein.
- Rechtsrahmen – Eilverfahren oder einzügige Verfahren – Welche rechtlichen Schritte bieten echte Chancen für Schlichtung und Beteiligung?
Themenbotschafter: Dr. Thorsten Göhlert, KPMG Law
Alle Beteiligten waren sich darüber einig, dass die gerichtliche Klärung aktuell zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Eine Möglichkeit zur Beschleunigung des Verfahrens bietet die außergerichtliche Streitbeilegung unter Mithilfe eines Schlichters oder Mediators. Diese Möglichkeit bietet sich jedoch nur an, wenn der Konflikt nur wenige betrifft, der Streitgegenstand beschränkt ist und die Ziele der Beteiligten nicht völlig konträr sind. Oftmals besteht ein Konflikt hinter dem Konflikt, der eigentlicher Streitgegenstand ist. Denkbar wäre auch, die Reduzierung der Kontrolldichte der Gerichte, um Verfahren zu beschleunigen. Das heißt, keine volle Ergebniskontrolle, sondern lediglich eine gerichtliche Prüfung des Verfahrens, ob die Behörde auf dem Weg zur Ergebnisfindung alles richtig gemacht und dokumentiert hat.
Im Plenum
Die anschließende Diskussion mit Mike Groschek, vormals Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen und Ingeborg Esser, Vorstandsvorsitzende des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. (GdW), im Plenum hat thematisiert, wo sich Politik an den Grenzen der Machbarkeit sieht. Planung und Umsetzung, so erklärten die Diskutanten, scheitern nach wie vor aufgrund politischer Wechsel. Sie verzögern sich wegen fehlender Ressourcen und misslingen, weil der Grad der Professionalisierung der Beteiligungsverfahren noch immer zu schwach ist.
Groschek bedauerte zudem eine rasant zunehmende Zahl ich-orientierter Bürger, denen nicht „Gemeinwohl“ sondern „Mein-Wohl“ am wichtigsten wäre. Zur Lösung von Planungs- und Umsetzungsblockaden legte er daher einen starken Fokus auf die Entschädigung der Betroffenen. Daran entzündete sich eine äußerst rege Diskussion, die viele Blickwinkel aufmachte, das Bild des schwierigen Wutbürgers jedoch nicht auflösen oder weichzeichnen konnte. Zu viele der anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Vorhabenträger hatten schlechte Erfahrungen gemacht. Sie einte das Gefühl noch lange nicht am Ziel zu sein. So war das Fazit zum Ende vor allem die Erkenntnis, dass es Patentrezepte zur Planungsbeschleunigung nicht gibt. Wer aber Dialog und Beteiligung wagt, hat eine gute Chance Vorhaben zu beschleunigen, wenn frühzeitig, umsichtig, ausgleichend und kreativ beteiligt wird.
Der interdisziplinäre Austausch unter Vorhabenträgern und darüber hinaus mit Verantwortlichen aus Politik und Administration, die alle dem Ruf der DialogGesellschaft gefolgt waren, schuf den besonderen Mehrwert dieser Fachtagung. Die DialogGesellschaft wird die Ideen und Vorschläge im Nachgang weiterverfolgen, zur Diskussion stellen oder in neuen Formaten wie Schulungen und Trainings an Interessierte vermitteln.
(Foto: Celin Sommer)
Kontakt
Angelina Groß
Vorstandsreferentin