Am 28. November 2024 lud die Dialoggesellschaft zu einer hybriden Veranstaltung mit dem Titel „Infrastruktur besser machen! Dialog, Planung, Verfahren“. Etwa 50 Personen nahmen an der Veranstaltung teil – vor Ort in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin oder vor ihren Bildschirmen. In zwei Panels diskutierten insgesamt neun Expert:innen mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen miteinander.
In seiner Begrüßung betonte Michael Baufeld, Vorstandsvorsitzender der Dialoggesellschaft, die Notwendigkeit einer Beschleunigung von Planungs- und Zulassungsverfahren für Infrastrukturprojekte. Dafür müsse in der Gesellschaft Akzeptanz geschaffen werden. Der momentan hohe Veränderungsdruck führe allerdings zu Unsicherheiten in der Bevölkerung, die teilweise Widerstand und damit Blockaden nach sich zögen. Ziel der Veranstaltung sei es, nach Wegen zu suchen, wie diese Blockaden im Dialog mit Bürger:innen gelöst werden können.
„Wir sollten den Blick nicht verlieren auf jene, die wir die ‚stille Mitte‘ nennen.“
Einleitend ermutigte Barbara Bosch, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung der Landesregierung Baden-Württemberg, die Vorhabenträger:innen dazu, frühe und breite Beteiligung als Chance zu sehen, bereits zu Beginn eines Prozesses Lösungen für mögliche Konflikte zu finden und die Planungen damit auch qualitativ zu verbessern. Auch wenn es oft so scheine, als rege sich innerhalb von Stunden Protest gegen neue Projekte, sei die Realität keineswegs so entmutigend. „Ich bin für eine repräsentative Demokratie, aber ich will gehört werden!“ – dass viele Bürger:innen hinter dieser Aussage stehen, bestätigen etwa Studien der Körber-Stiftung sowie des Demokratiemonitor 2024. Kleine Protestgruppierungen würden allerdings zunehmend „lauter“. Übersehen werde dabei die „stille Mitte“, die demokratische Werte vertrete und keineswegs pauschal Widerstand leiste. Diese „stille“ Mehrheit der Gesellschaft gelte es mit gezielten Beteiligungsangeboten einzubeziehen.
In Baden-Württemberg wurden dafür neue Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen, die früh im Planungsprozess initiiert werden. Einbezogen werden dabei möglichst alle, die für die Umsetzung eines Projekts gehört werden sollen: von Stakeholdern über Expert:innen bis hin zur Bürger:innenschaft. Im Prozess wachse eine sogenannte „Themenlandkarte“, die zu einer Empfehlung an die politischen Entscheidungsträger:innen zusammengefasst werde. Vorteile des Vorgehens: Es schafft Akzeptanz und macht Demokratie für Bürger:innen erlebbar. Die Evaluation zeige außerdem: Umsetzungsprozesse werden dadurch nicht verzögert, sondern teilweise sogar beschleunigt.
Panel 1: Ob und Wie sind ein Pärchen: Wie kommen wir von der BANANA-Republik (Build Absolutely Nothing Anywhere Near Anybody) wieder dazu, Chancen beim Schopf zu packen?
Ulla Herlt, Fachgebietsleiterin Grundsätze zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), betonte: Die Bürger:innen in die Suche nach einem Endlager einzubeziehen, sei ein großes Anliegen ihres Fachgebiets. Solange sich dabei aber noch keine konkreten Betroffenheiten ergäben, sei es trotz aller Bemühungen schwer, Laienbürger:innen für die angebotenen Formate zu gewinnen. Der Fokus sei nun also, mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu generieren. Ihrer Ansicht nach sei vor allem Nachvollziehbarkeit ein entscheidendes Kriterium für gelungene Beteiligung – und zwar in Bezug auf Inhalte, Entscheidungsprozesse und den tatsächlichen Gestaltungsspielraum der Bürger:innen.
Mathias Stein, Bundestagsabgeordneter der SPD und Mitglied im Verkehrsausschuss, betonte, dass man dem durchaus hohen Erwartungsdruck aus der Bevölkerung unbedingt mit Transparenz begegnen müsse. Der Dialog mit den Bürger:innen müsse außerdem kontinuierlich über den gesamten Prozess erfolgen. Wichtig sei, als Vorhabenträger:in auch in Richtung der politischen Entscheidungsträger:innen umfassend zu kommunizieren. Nur wenn diese einen realistischen Überblick über Kosten und Eingriffe haben, könne seitens der Politik eine deutliche Positionierung erfolgen: „Um eine mutige Entscheidung zu treffen, brauchen wir seriöses Wissen.“
Ebenso wie Ulla Herlt betonte auch Prof. Dr. Felix Krebber, Professor für Unternehmenskommunikation an der Business School der Hochschule Pforzheim, dass der Entscheidungsumfang für Bürger:innen immer transparent kommuniziert werden müsse. Problematisch sei das Vorgehen einzelner „schwarzer Schafe“, die mehr Einfluss suggerieren, als tatsächlich möglich ist. Vielmehr müsse man daran arbeiten, auf Bürger:innenseite ein breiteres Verständnis zu entwickeln, dass viele Infrastrukturen im Gegensatz zu Einzelinteressen stünden, deren Bereitstellung aber einem Gemeinwohlnutzen diene, ohne den unsere Gesellschaft langfristig nicht funktionieren könne.
Gerade bei besonders strittigen, aber notwendigen Projekten, erläuterte Barbara Bosch, seien dialogische Beteiligungsformate „geradezu zwingend“ erforderlich. Auch sie sieht die Transparenz im Verfahren und die Aufklärung über den Gestaltungsspielraum als zwingende Voraussetzung für erfolgreiche Beteiligung. Zudem sei eine klare Positionierung der Politik vonnöten, damit eine fruchtbare Diskussion zustande komme. Abschließend betonte die Staatsrätin „Egal wie gut die Bürgerbeteiligung durchgeführt wird, es wird nie passieren, dass alle Kritiker überzeugt werden. Es geht darum, Diskursräume zu öffnen.“
Analoge und digitale Tools zusammendenken
Nach der Pause erläuterte Saskia Albrecht, Abteilungsleiterin Projektkommunikation bei der TransnetBW, die Weiterentwicklung der Beteiligungsangebote im Projekt Suedlink. Die Erfahrungen in der frühen Projektphase haben gezeigt, dass Bürger:innen über analoge Formate nicht ausreichend „mitgenommen“ werden konnten. Die Idee: Die ohnehin in der Planung genutzten Geoinformationssysteme auch für Bürger:innen zugänglich zu machen.
Das Ergebnis: WebGIS. Interessierte erhalten somit neben Vor-Ort-Veranstaltungen die Möglichkeit, sich online zu informieren und Hinweise zu hinterlassen, die von TransnetBW beantwortet werden. Das sei zu Beginn zwar aufwändig – es habe sich allerdings gezeigt, dass die Eingaben in der späteren Einwendungsphase deutlich geringer ausfallen. Das digitale Tool sei hilfreich, um das Vor-Ort-Wissen der Beteiligten gleich zu Beginn in die Planung einfließen zu lassen und so Konflikten frühzeitig begegnen zu können. Das Ergebnis: Breitere Akzeptanz. Sie betonte aber auch: „Man braucht das Gespräch vor Ort.“
Panel 2: Digitale Transformation: Klar ist, sie findet statt. Was machen Sie als Vorhabenträger:in und Behörden aus diesem Thema? Und was sagt die Wissenschaft dazu?
Astrid Köhler, stellvertretende Leitung der Stadtwerkstatt der Freien und Hansestadt Hamburg, hatte in Sachen Beteiligung eine klare Präferenz: „Ich bin definitiv lieber vor Ort als im digitalen Raum.“ Schließlich habe man „mit echten Menschen an echten Orten“ zu tun. Allerdings habe man in der Verwaltung schnell gemerkt, dass digitale Beteiligungsangebote (Stichwort DIPAS) eine gute Ergänzung zu analogen Formaten sein können, um breite Beteiligung zu gewährleisten. Ihrer Meinung nach seien digitale Angebote außerdem ein Schritt in Richtung Demokratieförderung. Im Blick müsse man aber auch jene Bevölkerungsgruppen behalten, die man weder durch analoge noch digitale Formate erreichen könne – auch die gelte es einzubeziehen.
Frank Krüger, Unterabteilungsleiter Datenpolitik und digitale Innovationen im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie Einwendungsverfahren in der formellen Beteiligung so gestaltet werden können, dass Eingaben zukünftig digital abgegeben und KI-gestützt bearbeitet werden können. Aber auch er teilte Köhlers Ansicht, dass digitale Angebote den Dialog vor Ort nicht ersetzen könnten. Die digitale Beteiligung könne aber durchaus zur Beschleunigung von heute sehr aufwändigen formellen Beteiligungsverfahren führen.
Dr. Michael Zschiesche, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (UfU), stellte fest: „In dieser Legislaturperiode haben wir den Wechsel vollzogen von der analogen in die digitale Welt.“ Völlig offen sei allerdings, ob die zunehmende Digitalisierung der Beteiligung zur Demokratisierung beitragen könne. Es brauche Pilotprojekte, um u. a. herauszufinden, ob und wie über digitale Kanäle nachhaltiges Vertrauen hergestellt oder neue Zielgruppen erschlossen werden können. Wichtig sei vor allem, transparente und ehrliche Prozesse durchzuführen und den Bürger:innen dies auch ausreichend zu vermitteln.
Davon, dass digitale Beteiligungstools die Demokratisierung fördern, ist Prof. Dr. Klemt-Albert, Direktorin des Instituts für Baumanagement, Digitales Bauen und Robotik im Bauwesen an der RWTH Aachen, überzeugt. Building Information Modeling (BIM) könne dabei helfen, Prozesse transparenter zu gestalten und zum Beispiel direkte Auswirkungen nachvollziehbarer darstellen zu können: „Wenn ich das visualisiert sehe, glaube ich das eher, als wenn ich den Plan sehe und mir das jemand erklärt.“ Digitale Beteiligung erreiche außerdem eine breitere Öffentlichkeit. Mit Blick auf die Beschleunigung von Prozessen betonte Klemt-Albert, dass Digitalisierung und KI-gestützte Systeme insbesondere bei der Bearbeitung von Einwendungen den Prozess verkürzen können.
Fazit
Die Ergebnisse der spannenden Diskussionen in den beiden Panels können in den folgenden Punkten zusammengefasst werden:
- Beteiligungsprozesse brauchen Transparenz in Bezug auf den Prozess selbst, die Bereitstellung von Informationen und den tatsächlichen Gestaltungsspielraum der Bürger:innen im jeweiligen Projekt.
- Frühe und breite Beteiligung schafft Akzeptanz und fördert die Demokratisierung – auch bei strittigen Infrastrukturprojekten.
- Notwendige Infrastrukturen haben einen Gemeinwohlnutzen – dies sollte auch den Bürger:innen vermittelt werden.
- Für gute Beteiligung und Akzeptanz in der Bevölkerung braucht es eine klare Positionierung der Politik. Dafür ist ein transparenter Umgang mit den politischen Entscheidungsträger:innen notwendig.
- Digitale Beteiligungstools sind eine gute Ergänzung für analoge Formate und können zur Beschleunigung von Prozessen beitragen – es braucht aber weiterhin den Dialog vor Ort.
- Ob digitale Formate genug Transparenz schaffen, neue Zielgruppen erreichen und die Demokratie fördern, muss in weiteren Pilotprojekten untersucht werden.