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Beschleunigung durch Beteiligung?

Parlamentarischer Abend diskutiert innovative Ansätze

Große Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen ist ein Anliegen, das politisch und gesellschaftlich breit unterstützt wird.
Was kann Beteiligung dazu beitragen?

Deutschland verändert sich

Deutschland wird sich in den kommenden Jahren erheblich verändern. Globale Trends, neue Technologien und die Herausforderungen des Klimawandels zwingen zu einem Aus- und Umbau der Infrastruktur, insbesondere in der Mobilität und in der Energieversorgung. Doch Deutschlands Großvorhaben dauern immer länger. Das hat viele Gründe: rechtliche Vorgaben, Personalmangel bei Vorhabenträgern und Genehmigungsbehörden, komplexe Umweltverträglichkeitsprüfungen, manchmal schlicht Planungsfehler, oft aber auch mangelnde Akzeptanz von Stakeholdern und unmittelbar Betroffenen.

Große Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen ist ein Anliegen, das politisch und gesellschaftlich breit unterstützt wird. Gleichzeitig erwartet die Öffentlichkeit mehr Transparenz und Mitsprache bei der Gestaltung, einen offenen Dialog und Beteiligung am Entscheidungsprozess bei Groß- und Infrastrukturprojekten.

Eine Initiative dreier Partner

Vor diesem Hintergrund hatten drei ungewöhnliche Partner am 25. Juni 2020 zu einem digitalen Parlamentarischen Abend eingeladen: Die DialogGesellschaft, ein Kompetenzforum der Vorhabenträger, die Königlich Dänische Botschaft in Berlin, die ein Land mit einer ganz besonderen Beteiligungskultur repräsentiert, sowie das Berlin Institut für Partizipation.

Die zugrundeliegende gemeinsame These der Veranstalter war: Gute Beteiligung kann Verfahren schneller machen. Die rund 170 Teilnehmer*innen kamen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft sowie aus diversen Umweltorgansiationen und der Beteiligungspraxis. Das digitale Format war bewusst beteiligungsorientiert gewählt. Im begleitenden Chat diskutierten Teilnehmer, Referenten und Vertreter der einladenden Institutionen aktiv während der gesamten dreistündigen Veranstaltungsdauer.

Unter der Moderation von Heiko Kretschmer (Vorstandsmitglied der DialogGesellschaft) begann die Veranstaltung mit vier kurzen Impulsreferaten.

Dänische Beteiligungskultur

Seine Exzellenz Friis Arne Petersen, der Botschafter des Königreichs Dänemark in Deutschland, berichtete über die dänische Planungs- und Beteiligungskultur, die zum einen von der sogenannten Legalplanung geprägt ist, in der entscheidende Planungsschritte durch Beschlüsse des Parlaments definiert werden, was in der Regel weniger Klagemöglichkeiten für Kritiker als das deutsche Planungsrecht ermöglicht. Andererseits sei in Dänemark aber die Akzeptanz von großen Infrastrukturprojekten deshalb hoch, weil sehr umfangreich und sehr früh beteiligt werde.

Gute Beteiligung ist der Schlüssel

Jörg Sommer, Direktor des Berlin Instituts für Partizipation, legte in seinem Vortrag dar, welchen Qualitätsansprüchen Gute Beteiligung in Infrastrukturprojekten genügen muss, um tatsächlich Wirksamkeit zu entfalten: Sie muss insbesondere früh genug beginnen, alle betroffenen Akteure aktiv einbeziehen, reale Wirkungsmöglichkeiten anbieten und belegbar in die weiteren Prozesse einfließen. Vor allem aber muss sie genug Raum für eine wertschätzende Bearbeitung aller auftretenden Konflikte bereitstellen. Nur so könne Beteiligung Eskalationen bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen vermeidbar machen. Gute Beteiligung mache Verfahren schneller, weil akzeptierbarer, sie könne juristische Pfade nicht gänzlich ausschließen, aber die Vorhaben rechtssicherer machen.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Olaf Reidt, Professor an der Humboldt-Universität Berlin, diskutierte die Frage, wie insbesondere Planungsverfahren rechtlich stärker verdichtet werden können. Er sieht hier durchaus Möglichkeiten, auch wenn tatsächlich längst nicht alle Verzögerungen – als Beispiel nannte er den Berliner Flughafen BER – durch rechtliche Hürden oder gar Klagen signifikant verzögert worden wären. Als Jurist konzentrierte er sich in seinem Vortrag ausschließlich auf diese rechtlichen Fragen, die Wirkung von Beteiligung diskutierte er deshalb nicht.

7-Punkte-Papier der DialogGesellschaft

Der Vorstandsvorsitzende der DialogGesellschaft, Olivier Feix, stellte das 7-Punkte-Papier seiner Organisation vor und betonte noch einmal eindringlich, dass die in der DialogGesellschaft zusammengeschlossenen Vorhabenträger entschieden auf mehr frühe Beteiligung als Mittel zur Verfahrensbeschleunigung setzen würden und hier ermutigende Erfahrungen gemacht hätten.

Abgeordnete sehen Potentiale

Anschließend diskutierten, moderiert von Heiko Kretschmer, der immer wieder zahlreiche Chat-Fragen in die Debatte einspielte, vier Bundestagsabgeordnete über das Thema des Abends.

Christoph Ploß (CDU) steht einer frühen Beteiligung durchaus offen gegenüber, wünscht sich aber zugleich einen Verzicht von beteiligten Umweltorganisationen auf spätere Klagen. Zusätzlich setzt er darauf, Klagemöglichkeiten deutlich einzuschränken und die sogenannte Präklusion zu stärken, also im Laufe der Verfahren die beklagbaren Fragen zunehmend abzuschichten. Was einmal geklärt sei, solle Bestand haben, auch wenn sich Akteure anders besännen oder sich Situationen ändern würden.

Mathias Stein (SPD) unterstützte die Einschätzung der DialogGesellschaft, dass frühe Öffentlichkeitsbeteiligung ein wichtiger Faktor bei der Akzeptanz von Großen Infrastrukturvorhaben sei. Er wies darauf hin, dass dabei aber deutliche Anstrengungen unternommen werden müssten, nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ zu beteiligen, sondern auch die Betroffenengruppen, aufgrund von Lebenssituationen, Bildung, Alter oder anderen Gründen nur schwer für Beteiligung zu gewinnen seien. Nur Angebote genügten nicht, man müsse sich aktiv um diese Gruppen bemühen.

Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erläuterte, insbesondere im Disput mit Christoph Ploß, ihre Einschätzung, dass es in Sachen Beteiligung noch viel Luft nach oben gäbe und mehr, gute und vor allem wirksame Beteiligung das, aus ihrer Sicht ohnehin überbewertete, Klageproblem weiter entschärfen könnte. Das würde jedoch voraussetzen, dass sich gerade auch die politischen Entscheider intensiv in solche Beteiligungsprozesse einbringen würden.

Auch Torsten Herbst (FDP) sprach sich für mehr Beteiligung aus, sieht jedoch auch Beschleunigungsmöglichkeiten durch eine bessere Verschränkung von Raumordnungs- und Vorhabensprüfungen. Beteiligungsmöglichkeiten sieht er insbesondere bei der Frage der Umsetzung, dafür müsse jedoch bei allen Beteiligten eine Akzeptanz der grundlegenden Entscheidung vorliegen.

Konkrete Maßnahmen vorgeschlagen

Nach über einer Stunde intensiver Diskussion und zahlreicher, durchaus kritischer Nachfragen aus dem Publikum schloss Jörg Sommer die Veranstaltung mit einem Resümee der Gastgeber. Diese sehen Beteiligung als wirksames Mittel der Verfahrensbeschleunigung und haben dazu konkrete Erwartungen an die Politik. Unter anderen brauche es

  • Eine verbindliche frühe und durchgängige Öffentlichkeitsbeteiligung durch Vorhabenträger
  • Eine Mitwirkungspflicht der beteiligten Behörden
  • Eine Aufstockung der Personalmittel für die Fach- und Genehmigungsbehörden
  • Einen verbindlichen Beteiligungsbericht (inkl. Wirkungsnachweis) als Bestandteil der Antragsunterlagen
  • Verbindliche Mindeststandards Guter Beteiligung

Die Einrichtung einer bundesweiten Kompetenzstelle Bürgerbeteiligung unter zivilgesellschaftlicher Beteiligung könnte dazu entscheidend beitragen. Aufgaben einer solchen Kompetenzstelle wäre die Förderung der Entwicklung von Standards, die Evaluation von beteiligungsverfahren sowie die qualitätsorientierte Beratung von Parlament, Ministerien und Vorhabenträgern.

Politik am Zug

Die Veranstaltung zeigte auf, dass Beschleunigung und Beteiligung nicht im Widerspruch miteinander stehen. Vielmehr kann eine zielgerichtete, gut konzipierte Beteiligung der Öffentlichkeit sogar zur Beschleunigung solcher Vorhaben beitragen. Denn Dialog und Beteiligung verbessern die Planungsverfahren und steigern die Akzeptanz der daran Beteiligten.

Viele Vorhabenträger haben dies erkannt und beziehen daher die Öffentlichkeit aktiv und frühzeitig in Planungsprozesse ein. Die Politik sollte die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um den dringend notwendigen Infrastrukturausbau in Deutschland zu beschleunigen und gleichzeitig dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Transparenz und Mitsprache gerecht werden.

Auf Seiten der Vorhabenträger wurde das Potential von Beteiligung erkannt. Nun sei, damit beschloss Jörg Sommer den Parlamentarischen Abend, die Politik am Zug.

Unterlagen des Parlamentarischen Abends
Die zur Veröffentlichung freigegebenen Beiträge der Referenten können Sie gerne hier abrufen.
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Jörg Sommer – Impulsreferat [PDF]
Olivier Feix – Impulsreferat [PDF]
Jörg Sommer- Fazit [PDF]

Kontakt
Angelina Groß
Vorstandsreferentin