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Über 40 Interessierte diskutierten am 22. Juni 2023 mit uns die Frage: „Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung neu denken: Was sollte eine künftige VDI 7000 für die Praxis leisten?“.

Ingenieur:innen und Bürger:innen haben in den vergangenen Jahren gelernt, sich besonders zielgerichtet und konstruktiv über Planungen auszutauschen. Die VDI 7000 bietet für diesen Dialog eine Orientierung und erläutert anschaulich, wann und wie Vorhabenträger:innen in den Austausch mit der Öffentlichkeit treten sollten und wie sie wiederum mit dem Wissen der Bürger:innen die Planungen verbessern können.

WebKonferenz VDI bei der DialogGesellschaft

WebKonferenz VDI bei der DialogGesellschaft

 

Beteiligung als Bestandteil im Planungsverfahren

Dr. Danuta Kneipp und Tobias Wächter, Vorstandsmitglieder der DialogGesellschaft, berichteten in ihrer Einleitung, dass durch sogenannte frühe Öffentlichkeitsbeteiligung (FÖB) lokales Wissen geborgen werden kann und somit ein wesentlicher Beitrag zur inhaltlichen Planung geleistet wird. Bereits in dieser frühen Phase können Themen und Informationen in die Planungen einfließen, die im besten Fall dazu beitragen, dass sie im formellen Verfahren fester Bestandteil der Planung sind. Die Vorstandsmitglieder betonten, dass zusätzlich dazu die Chance besteht, mehrere Planungsvarianten bereits im Vorfeld zu eruieren und zu diskutieren, so dass das Ergebnis durch die Beteiligten mitgetragen wird. Die stetige Verbesserung und Weiterentwicklung von Beteiligung während der Planungsphasen stellt ein wichtiges Anliegen der DialogGesellschaft dar und stand daher im Fokus der WebKonferenz. Während den Beschwerlichkeiten durch Corona mit zunehmender Digitalisierung von Beteiligung begegnet wurde, machten die Vorstandsmitglieder deutlich, dass die aktuellen Herausforderungen vielmehr in der Beschleunigung der Verfahren liegen. Daher widmeten sich die Mitglieder der DialogGesellschaft den Fragen, wie Beteiligung zur Beschleunigung beitragen kann und wie die richtigen Stakeholder gezielt adressiert werden können, um wichtiges Expert:innenwissen frühzeitig in die Planung einfließen zu lassen. Zu klären wäre dahingehend: Welche Rolle spielen Planer:innen hierbei und wie kann die VDI 7000 als Leitplanke für die Beteiligung die Planer:innen unterstützen?

Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung neu denken – VDI 7000

Dr. Volker Brennecke, Leiter Politik und Gesellschaft beim VDI, stellte das Konzept der VDI 7000 vor. Er erläuterte die Vorteile der FÖB und das Vorgehen nach VDI 7000 als integralen Bestandteil des Projektmanagements. Die VDI 7000 konzentriere sich auf die Schnittmenge der drei unterschiedlichen Anforderungen von Vorhabenträgern, Stakeholdern und Behörden und bietet daher unterschiedliche Methoden für unterschiedliche Projekte an. Dr. Brennecke stellte heraus, dass sich nach acht Jahren – seit der Veröffentlichung der ersten VDI 7000 – die Planungs- und Genehmigungsprozesse sowie die Anforderungen der Planer:innen verändert haben. Eine neue VDI 7000 soll diesen Umständen Rechnung tragen und das Verständnis von „Planen im Dialog“ vereinheitlichen. Weiterhin soll sie künftig durch die Verzahnung von informellen und formellen Verfahren zur Beschleunigung von Verfahren beitragen. Darüber hinaus müssen der Qualitätsstandard und die Verbindlichkeit der FÖB laut Dr. Brennecke erhöht werden, ohne diese zu verrechtlichen oder die Flexibilität einzuschränken. Informelles und formelles Verfahren sind Teil eines Gesamtprozesses. Um diese beiden Verfahren gut zu verzahnen, ist es nach Dr. Brennecke notwendig, die Planung, die Kommunikation und die Genehmigung zusammen zu denken. Er vermittelte den Teilnehmenden, dass das Gelingen eines „Planen im Dialog“ schlussendlich zur Beschleunigung des Gesamtprozesses beiträgt, indem Doppelarbeiten vermieden und Prüfprozesse schlank gehalten werden können. Durch das frühe Zusammenwirken der Beteiligten Akteure werde nämlich Vertrauen in das Planungsverfahren aufgebaut und breite Akzeptanz durch Verständnis gefördert. Die Schlussfolgerung Dr. Brenneckes: Die neue VDI 7000 soll Ergebnisse produzieren, die überzeugen.

Präsentation [PDF]

Möglichkeiten einer Verzahnung der informellen und formellen Verfahren

Prof. Dr. Andrea Versteyl, Fachanwältin für Verwaltungsrecht bei avr – Andrea Versteyl Rechtsanwälte –, berichtete in ihrem Vortrag über die Veränderungen, die dazu führen, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung (ÖB) an Stellenwert verloren hat. Sie zeigte zu Beginn die damit einhegenden juristischen Problematiken für das Gesamtverfahren und die damit verbunden Chancen für die FÖB auf. Frau Prof. Versteyl befürwortete eine Verzahnung der Verfahren, da die FÖB zu einer soliden Informationsgrundlage für die Planer:innen, Genehmigungsbehörden und Fachbehörden beiträgt. Darüber hinaus appellierte sie für eine Einbeziehung der Informationen in die Antragskonferenz und in die Scoping-Termine. Die Beteiligung von Verbänden und Dritten sieht sie bereits in dieser frühen Projektphase als notwendig an. An dieser Stelle machte Frau Prof.  Versteyl ihren Unmut deutlich, da häufig von Seiten der Dritter keine Rückmeldung erfolgt und die Entscheidungen sowie Informationen nicht transparent dargestellt oder zugänglich sind. Dies kann ihrer Meinung nach dazu führen, dass juristische Mittel im späteren Verfahren die Prozesse verlangsamen. Aus juristischer Perspektive dient die FÖB dazu, die Qualität in den Genehmigungsverfahren zu steigern und sollte nicht allein einem „Unterrichten über die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens“ (§25 Abs. 3 VwVfG) dienen.

Präsentation [PDF]

Diskussion und Erfahrungsaustausch in 3 Gruppenräumen

Nach den Input-Vorträgen diskutierten die Teilnehmenden in drei Gruppen die folgenden Themenbereiche und Fragen:

Thema 1) Wie hilft die VDI 7000 im Verfahren zur Planungsbeschleunigung beizutragen? Wie kann über die Anwendung der VDI-Richtlinie die inhaltlichen Chancen aus der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung besser genutzt werden?
Thema 2) Wie kann die VDI-Richtlinie zu der Verzahnung von früher Öffentlichkeitsbeteiligung und Genehmigungsverfahren beitragen?
Thema 3) Was braucht es aus Sicht der Ingenieur*innen und Planer*innen, um diejenigen verstehen zu können, die von den Vorhaben betroffen sind?

Diskussion und Erfahrungsaustausch in drei Gruppen – Spiegel der Diskussionen

Im Anschluss an die Gruppenphase wurden die Argumente und Erfahrungen durch die Gruppenmoderator:innen im Plenum geteilt.

Vera Grote, Vorstandsmitglied der DialogGesellschaft, berichtete als Moderatorin aus der Gruppe 1 über den Erfahrungsaustausch mit Vertreter:innen der Industrie. Dort werden frühe Öffentlichkeitsbeteiligungen (FÖB) durchgeführt und sie haben gute Erfahrungen damit. Die Industrievertreter:innen sehen daher die VDI 7000 als Leitfaden und Tool-Box an. Demgegenüber würde ein starres Regelwerk den projektspezifischen Bedarfen und regionalen Besonderheiten nicht gerecht werden.

In dieser Gruppe wurde es als besonders wichtig erachtet, dass verschiedene Verantwortliche in einer Kommune, deren Projekte sich maßgeblich überschneiden, gemeinsam kommunizieren. Dabei werden Umweltverbände von den Gruppenmitgliedern häufig als Herausforderung wahrgenommen, die die politisch forcierten Projekte grundlegend in Frage stellen. Auch hier wurde eine gemeinsame FÖB aller Projektbeteiligten als sinnvoll erachtet.

Die Gruppenmitglieder äußerten insgesamt positive Erfahrungen hinsichtlich der Transparenz in den FÖB. Denn diese führe dazu, dass individuelle und gemeinschaftliche Interessen abgewogen werden können. Dadurch werden diese greifbar, was gleichzeitig Vertrauen in das Verfahren schafft. In Bezug auf die Verzahnung von Planungsverfahren und Beteiligung ist es laut dem Gruppenbericht von Frau Grote zentral, dass die Rollenverteilung klar geregelt ist. Die Aufgaben sowie die Verantwortung zwischen der juristisch verantwortlichen Behörde und dem privaten bzw. öffentlichen Vorhabenträgern müssten transparent und geregelt sein. Beide Parteien sollten gleichermaßen an den FÖB beteiligt sein. Die VDI 7000 könne hierfür einen Rahmen geben, wobei die Genehmigungsbehörde an keiner Stelle von Ihren Pflichten befreit wird, alle formellen Eingaben zu prüfen – die FÖB diene zur Vorbereitung. 

Dr. Danuta Kneipp, Vorstandsmitglied der DialogGesellschaft und Moderatorin der Diskussion, berichtete aus der Gruppe 2, dass verfahrensbeschleunigende Maßnahmen begrüßt werden. Eine Erhöhung der bereitgestellten Informationen gehe allerdings nicht gleichermaßen mit einer Steigerung der Beteiligung einher. Die Teilnehmenden bekräftigten, dass Planer:innen an der FÖB teilhaben sollten, um die Informationen aufnehmen sowie diese in die Planungen direkt einfließen lassen zu können. Für das Verständnis von den lokalen Gegebenheiten ist eine unmittelbare Teilhabe daher förderlich, wohingegen eine theoretische Befassung der Eingaben aus dem FÖB als unzureichend von der Gruppe beschrieben wurde.

In der Gruppe wurde angeregt, dass die Anmerkungen und Informationen aus der FÖB stärker in die formelle Beteiligung einfließen sollten. Dies würde zu einer Beschleunigung des Verfahrens beitragen. Dafür ist es notwendig die Genehmigungsbehörden für den Mehrwert der FÖB zu sensibilisieren.

Frau Dr. Kneipp merkte an, dass aus der Gruppe viele Stimmen kamen, die um eine kritische Selbstreflektion der Erfahrungen in Bezug auf die Beteiligung von Planer:innen bei FÖB als auch der VDI 7000 gebeten haben. Die VDI 7000 könne einen modularen Rahmen geben, in dem sich die Anwender:innen flexibel bewegen und die einzelnen Tools projektspezifisch anwenden können. Eine Überarbeitung der aktuellen VDI 7000 und damit einhegende Anpassungen an die Anwendungsbedarfe wurde in der Gruppe begrüßt.

Als zentralen Baustein für eine gelungene Verzahnung von Beteiligung und Planung haben die Gruppenmitglieder eine Visualisierung der Ergebnisse aus den Beteiligungsformaten angeregt. Das schafft Transparenz und Vertrauen, so Frau Dr. Kneipp.

Tobias Wächter, Vorstandsmitglied der DialogGesellschaft, berichtete aus der Gruppe 3 von Gesprächen, die sich um die Verzahnung von FÖB und ÖB drehten. Die Teilnehmenden teilten ihre Erfahrungen, in denen sich die Argumente um informelle und formelle Beteiligungsprozessen häufig wiederholten. In der Diskussion merkten einige Teilnehmende an, dass die Eingaben in den unterschiedlichen Prozessen sich ergänzen können und somit weder die eine noch die andere Beteiligungsform obsolet macht. Dahingegen wand ein Gruppenmitglied ein, dass, wenn sich die Argumente und Informationen in beiden Beteiligungsformaten doppeln, der Prozess als Erfolg zu werten sei. Denn so würden sich die Planer:innen bereits anhand der Eingaben im FÖB auf das formelle Verfahren vorbereiten können und seien Überraschungen gegenüber geschützt. Laut Tobias Wächter wird die Auswertung und Einbettung der Ergebnisse einer FÖB von den Teilnehmenden als Herausforderung wahrgenommen. Die Beschleunigung des Verfahrens verortet ein Teil der Teilnehmenden bei den Vorhabenträger:innen. Sie haben zudem auf die Verwechslungsgefahr von Öffentlichkeitsarbeit und FÖB verwiesen und eine trennscharfe Ausformulierung dessen in einer neuen VDI 7000 gefordert.

Ein weiterer Hinweis aus der Gruppe war die Erfahrung, dass Informationen und die Ergebnisse aus den FÖB mittels FAQs Transparenz bedeute und die Wahrnehmung fördere. Dies helfe bei der Verschlankung des Prozesses, indem bei neuen Rückfragen auf die bereits beantworteten Thematiken verwiesen werden kann.Die VDI 7000 wird laut Wächter als Richtlinie wertgeschätzt, da sie Antworten auf allgemeine, unbeantwortete Fragen bietet, wie beispielsweise darauf, welche Kosten Bürger:innen- und Öffentlichkeitsbeteiligung verursacht. Diese sind in der Regel abhängig von Umfang, Dauer und Qualität der Beteiligungsmaßnahmen.

Weiterhin sprach sich die Gruppe laut Wächter dafür aus, dass Verbände bereits in Scoping-Terminen involviert werden. Dies würde zu einer frühzeitigen Einbindung und grundlegenden Verzahnung von Beteiligung und Planung beitragen.

Erkenntnisse und Ausblick

Im Plenum wurde wiederholt angemerkt, dass Planungsverfahren und Planungsziele von den Legislaturperioden und dem damit verbundenen politischen Willen abhängen. Die VDI 7000 könnte dazu beitragen, hier für Klarheit zu sorgen und die Wirkung und Funktion der informellen und formellen Beteiligung zu stärken. Weiterhin wurden die Unabhängigkeit und Zuständigkeiten der Genehmigungsbehörden deutlich herausgestellt.

Dr. Volker Brennecke legte dar, dass die VDI 7000 einen Rahmen für die zum Teil völlig unterschiedlichen Verständnisse und Konzepte der FÖB schaffen möchte und nahm sich hierbei Best-Practice-Beispiele aus Dänemark und Niederlande zum Vorbild. Die Notwendigkeit der Erneuerung der VDI 7000 ergebe sich aus veränderten Erfordernissen der Praxis. Dr. Brennecke wies aber auch darauf hin, dass die bewährten Stakeholder- und Themenfeldanalysen, die in der WebKonferenz gezeigt wurden, auch wieder in die neue 7000 einfließen werden.

Es wurde deutlich, dass ungelöste gesellschaftliche Konflikte und politische Diskurse für die Beschleunigung der Verfahren hinderlich sind und Prozesse verzögern können. Gute Beteiligung ist allerdings kein Hemmnis, sondern führt zur Beschleunigung der Verfahren. Dr. Brennecke schlussfolgert aus der Diskussion, dass die neue VDI 7000 einen Rahmen schaffen kann, um für Klarheit im politischen Diskurs zu sorgen und sowohl die Notwendigkeit als auch die Rolle von FÖB zu verdeutlichen. Frühe Öffentlichkeitsbeteiligungen sind demnach nicht mit einer herkömmlichen Öffentlichkeitsarbeit gleich zu setzen, aber sie können auch keine grundlegenden, gesellschaftlichen Problemstellungen lösen.

Die Veröffentlichung der überarbeiteten Fassung soll 2024 erfolgen.